Bereits in jungen Jahren ein provokanter Künstler
Im Jahr 1886 löste Munchs Werk „Das Kranke Kind“ (1886) einen Skandal aus. Das Motiv stützt sich auf die Eindrücke von seiner sterbenden Schwester, die sich tief eingebrannt hatten. Doch die Szenerie war nicht der Grund für die Entrüstung, denn auch Christian Krohg und Hans Heyerdahl (1857-1913) porträtierten kranke Kinder und gehörten damit zu den sogenannten „Kissenmalern“. Skandalös war vielmehr Munchs Arbeitsweise. Der Naturalismus gehörte zu den führenden Stilen dieser Zeit. Motive wurden nach anatomischen Gesichtspunkten modelliert und mit Hilfe von Licht und Schatten dargestellt. Doch die Kraft von Munchs Gemälde strahlte von innen. Das Licht schien aus dem Kissen durch das transparente, verschwindende Gesicht des kranken Mädchens. Details wurden brachial heruntergebrochen. Übrig blieben der schiere Ausdruck des nahen Todes und die Trauer der Mutter. Die detailverliebte und naturalistische Kunstwelt war von diesem Werk entsetzt und fasziniert gleichermaßen. Das Wort „Schmiererei“ fand sich in zahlreichen Kritiken.
Neue Einflüsse und die Abkehr vom Naturalismus
Im Jahr 1889 erhielt Munch ein Staatsstipendium für ein viermonatiges Studium in Paris. In den Pariser Salons sieht er erstmalig Werke von Vincent van Gogh, Georges Seurat und Paul Signac. Diese Einflüsse ließen den Naturalismus für ihn weiter in den Hintergrund rücken. Nachdem der Dichter Emanuel Goldstein ihn mit dem Symbolismus vertraut gemacht hatte, brach er endgültig mit dem Naturalismus und wendete sich dem Impressionismus und Postimpressionismus zu. Im Jahr 1892 hatte Munch erste Ideen zu seinem Lebensfries. Außerdem schuf er Werke wie „Melancholie“, „Eifersucht“ oder „Der Kuss“. Seine Werkschau im Verein Berliner Künstler löste so viel Empörung aus, dass die Ausstellung bereits nach einer Woche geschlossen wurde. Dieser Fall beeinflusste mehrere Künstler, aus ihren bewährten Zirkeln auszubrechen. Sie gründeten die Berliner Secession.
Fortschritt siegt: Erste Anerkennung für einen modernen Künstler
Die provokanten Werke Munchs lösten viel Empörung aus, doch faszinierten im gleichen Zug weitere Künstler. 1897 siedelte Munch von Berlin nach Paris, wo er von August Strindberg in die Kreise der Pariser Intellektuellen eingeführt wurde. Er widmete sich zunehmend der Druckgrafik und stellte 1897 Teile seines Lebensfrieses aus. In Norwegen erntete er erstmalig Anerkennung durch eine Personale, die im „Dioramalokalet“ veröffentlicht wurde. Es folgten zahlreiche Ausstellungen und Reisen zwischen Paris, Stockholm, St. Petersburg, Berlin und Kristiania. Auf den Erfolg folgte eine Zeit der Rückschläge. 1898 lernte Munch Tulla Larsen kennen und lieben. Mit ihr reiste er oft durch Europa, doch Streit begleitete die Beziehung. Tulla wünschte sich eine Hochzeit, doch Munch befürchtete, dass Wahnsinn, Angst und Tod seiner Familie die nächsten Generationen beeinflussen könnten. Er verfiel dem Alkohol und verbrachte bis 1900 viel Zeit in Sanatorien. Schließlich trennte er sich von Tulla.
Melancholie als bittersüßes Thema der Kunst
Edvard Munch war wohl einer der fortschrittlichsten Künstler der Moderne. Von der Malerei über die Druckgrafik bis hin zur Fotografie ließ er kein Medium aus, das während seiner Lebzeit entwickelt wurde. Doch eines zog sich durch sein gesamtes Lebenswerk: Die Melancholie. Schon früh wurde er mit dem Tod konfrontiert. Diese Tatsache ließ seine Psyche nie los. Alkoholsucht und psychische Probleme begleiteten Munch weiterhin. 1904 wurde ihm ein Atelier in Gleichstellung einer Professur angeboten, die er nicht antreten konnte aufgrund seines Alkoholkonsums. Immer wieder besuchte er Sanatorien und Kliniken. Zur selben Zeit konnte er dennoch erfolgreich an Ausstellungen in ganz Europa teilnehmen. In den Jahren 1913 bis 1914 konnte er seine Werke in den Galerien New Yorks und San Francisco platzieren und wurde ausgezeichnet.
Munch als Lehrer, Mentor und zurückgezogener Künstler
Die folgenden Jahre des Lebens von Edvard Munch waren geprägt von neuen Themen und dem Wunsch, der nächsten Generation etwas zu hinterlassen. Er begann junge Maler zu unterstützen und ihnen den Weg zum Erfolg zu erleichtern. Künstlerisch setzte er sich ab 1919 mit dem Thema Künstler und Modell und der Aktmalerei auseinander. 1930 führte das Platzen eines Blutgefäßes fast zur Erblindung. Munch setzte sich daraufhin vermehrt mit Krankheit und Tod auseinander. Er überarbeitete sein Lebensfries. 1937 diffamierten die Nationalsozialisten Munchs Werke als „entartete Kunst“ und beschlagnahmten zahlreiche Gemälde. Munch zog sich nach Ekely zurück. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens, bis er am 23. Januar 1944 an einer Lungenentzündung im Alter von 80 Jahren starb.
Edvard Munch zwischen Einsamkeit, Liebe und Tod
Munchs Lebenswerk setzte sich immer wieder mit tiefen menschlichen Gefühlen und Lebenserfahrungen auseinander. Existenzieller Druck und psychische Zustände führten zu einer bahnbrechenden Darstellung von Krisen. Das weltberühmte Bild „Der Schrei“ ist wie kein zweites ein Symbol für die Entfremdung der Menschheit von der Wirklichkeit. Vor allem sein Lebensfries, an dem er sein Leben lang immer wieder arbeitete, stellt in Form einer Bildersammlung den Lebenszyklus eines Menschen mit seinen emotionalen Facetten dar. Liebe, Leid, Melancholie und Tod sind Motive, die sich immer wieder in seinem Werk finden lassen.